Die Zeitzeugin Michaela Vidláková am THG
Am Mittwoch, dem 21.2.24, ist es in der Aula mucksmäuschenstill, als die aus Prag angereiste Zeitzeugin Michaela Vidláková SchülerInnen des 10. und 11. Jahrgangs von ihrer Zeit während der nationalsozialistischen Besatzung in Prag und ihren Erlebnissen im KZ Theresienstadt berichtet.
Nach der Vorstellung ihrer Person und des beeindruckenden Werdegangs in den Naturwissenschaften, steigt Frau Vidláková ins Thema ein, indem sie auf ein Zitat von Friedrich Schorlemmer verweist: „Erinnern kann nicht ungeschehen machen, aber die Wiederholungswahrscheinlichkeit verringern“, und genau deswegen sei sie nach Wolfenbüttel ans THG gekommen.
Es folgt ein Appell an die SchülerInnen, Dinge nicht schweigend hinzunehmen, sondern „selbst etwas zu tun“. Ausdrücklich schülerzugewandt berichtet sie, dass weder sie noch ihre Familie oder Bekannte sich hätten vorstellen können, wie gegen die Juden vorgegangen wurde. Zur Veranschaulichung der Diskriminierung gibt sie viele schülernahe Beispiele für diverse Maßnahmen, die zu einer Diskriminierung und dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben führten. So durften Juden keine kulturellen Angebote wahrnehmen und nicht auf Spielplätze und in Schwimmbäder gehen. Sie erzählte den SchülerInnen auch, dass Juden nur in wenigen ausgewählten Geschäften eine Stunde pro Tag einkaufen durften. Weiterhin berichtete sie aus ihrer Kindheit in Prag, wie sie mit ihrer Oma nur an Wochentagen und stehend Straßenbahn fahren dufte. Wenn es zu voll wurde, wurden die Juden der Straßenbahn verwiesen. Aus kindlicher Perspektive betrachtet war es für Frau Vidláková besonders schlimm, dass sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht mehr mit allen Kindern auf dem Hof spielen durfte. Sehr eindrücklich berichtet sie auch von den Enteignungen, den Vertreibungen aus den Wohnungen in jüdische Sammelwohnungen und den Massendeportationen.
Statt die Vorfreude auf einen Kindergeburtstag zu genießen, musste sie sich mit ihren Eltern kurz vor ihrem 6. Geburtstag zu einer Sammelstelle begeben, von wo aus sie dann nach Theresienstadt deportiert wurden. „Dort wurde eine Person dann lediglich zu einer Nummer“, berichtet Vidláková den THGlern. In Michaela Vidlákovás Fall war das 539, wovon sie auch ein Bild zeigte.
Wieder sehr schülernah beschreibt Vidláková nicht nur die prekären Bedingungen in Theresienstadt, sondern auch den Versuch der Insassen, eine „Insel der Kindheit“ für die jüdischen Kinder zu errichten. Trotz des Verbots wurden die jüdischen Kinder heimlich unterrichtet, denn sie wollten lernen und nicht den Anschluss verpassen, wenn sie später wieder zur Schule gehen könnten. Trotz all den Grausamkeiten hatte sie nie Hoffnung auf ein Leben nach der nationalsozialistischen Besatzung aufgegeben. Während ihrer Zeit in Theresienstadt wurde Vidláková sehr krank, so dass sie ein Jahr auf der Krankenstation verbrachte, wo sie einen jüdischen Berliner Waisenjungen kennenlernte, von dem sie Deutsch lernte.
Dass ihr Vater Arbeit in Theresienstadt bekam und sie das unglaubliche Glück hatte, mit ihrer Familie nicht nach Auschwitz deportiert zu werden, verdankt sie einem Holzspielzeug, das ihr ihr Vater zu ihrem 5. Geburtstag schenkte. Denn dieses Spielzeug zeigte, wie handwerklich geschickt ihr Vater war, weswegen er in Theresienstadt als Zimmermann arbeitete. Damit war die Familie zum ersten Mal gerettet. Ein zweites Mal rettete ein Sturm die Familie vor der Deportation nach Auschwitz, denn man suchte geschickte Männer, die zerstörte Baracken wieder aufbauen konnten. Durch glückliche Zufälle überlebte Michaela Vidláková zusammen mit ihren Eltern den Holocaust und wurde am 8.5. 1945 von der Roten Armee befreit. Ihre Großeltern dagegen wurden in Auschwitz und Treblinka ermordet.
Die Schülerschaft war tief berührt von diesem zugewandten Vortrag einer Zeitzeugin, der viele bewegt und die Schüler dazu ermutigt hat, „selbst etwas zu tun“ und Diskriminierung nicht tatenlos hinzunehmen.